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Der Abschuss von Iran-Air-Flug 655 – ein Versehen?     

Eine Untersuchung von Dr. Markus Fiedler

Am 3. Juli 2021 jährt sich der Abschuss eines Airbus der iranischen Fluglinie Iran Air (Iran-Air-Flug 655), der sich auf dem Flug von Bandar Abbas (Iran) nach Dubai befand, durch die Besatzung des US-Kriegsschiffs USS Vincennes zum 33. Mal.

Am Sonntag, den 3. Juli 1983, bereitete sich ein Airbus A300B2 (EP-IBU) der iranischen Fluggesellschaft Iran Air vom iran. Flughafen Bandar Abbas auf einen 28-minütigen Flug nach Dubai vor. An Bord der Maschine befanden sich 275 Passagiere und 15 Besatzungsmitglieder, die unter dem Kommando von Kapitän Mohsen Rezaian standen. Um 10:17 Uhr startete der Airbus mit 27-minütiger Verspätung zu dem ca. 250 Meilen langen Flug; Start und Steigflug verliefen ereignislos. Zu dieser Zeit befand sich die USS Vincennes, ein mit dem AEGIS-Kampfsystem ausgestatteter Lenkwaffenkreuzer der US-Marine, in der Nähe der Straße von Hormus, die der Iran-Air-Flug 655 zu seinem Ziel überfliegen musste. Um die Frage, warum sich dieser Kreuzer zu diesem Zeitpunkt dort aufhielt, beantworten zu können, müssen wir uns zunächst die Situation im ersten Golfkrieg zu diesem Zeitpunkt vergegenwärtigen.

 

                           Westliche Unterstützung für den Irak im „Ersten Golfkrieg“

 

Zu dem für unsere Untersuchung relevanten Zeitpunkt war der von Saddam Hussein angedachte Blitzkrieg und schnelle Sieg gegen den Iran, der mit dem Angriff von Saddams Irak vom 22.9.1980 begann, längst gescheitert. Der Iran konnte 1982 zur Gegenoffensive übergehen und die von der irakischen Armee besetzte Stadt Chorramschahr zurückerobern. Die irakische Armee geriet in der Folge immer mehr unter Druck. Am 10.2.1983 bombardierte die irakische Luftwaffe erstmals iranische Städte  und begann damit den „Städtekrieg“. Bereits zu Beginn des Krieges hatte der Irak großflächig chemische Waffen eingesetzt[1], die in Kanistern über iranischen Stellungen abgeworfen worden waren. Im Jahr 1983 erfolgten weitere Angriffe mit Chemiewaffen.[2]

Die USA und andere westliche Staaten unterstützten den Irak sowohl politisch als auch mit Waffenlieferungen. Dies schloss auch die Ausstattung des Irak mit chemischen Kampfstoffen ein. So kaufte der Irak 1975 technisches Gerät sowie die dazugehörige Technologie u.a. bei 24 Rüstungskonzernen aus den USA.[3] Chemiewaffenlieferungen kamen damals übrigens auch aus Deutschland, woran heute eine Tafel vor der deutschen Botschaft in Teheran erinnert. Über den Einsatz von chemischen Kampfstoffen durch die irakische Armee berichteten die westlichen Medien damals nicht, der internationale Aufschrei blieb aus.

Obwohl die USA folglich im Krieg zwischen dem Irak und Iran alles andere als neutral waren, befanden sich 1983 Teile der 5. US-Flotte (unter ihnen die USS Vincennes) unter dem Vorwand im Persischen Golf, die Sicherheit der Ölversorgung gewährleisten zu wollen, und sie drangen dabei auch immer wieder in iranische Hoheitsgewässer ein. In der Realität deckten die US-Kriegsschiffe v.a. auch die Versorgung des Irak mit Waffen, Ausrüstung und anderen kriegswichtigen Lieferungen u.a. aus den Golfstaaten.

Obwohl im Jahr 1984 ein von der UNO vorgelegtes Moratorium vom Irak und Iran unterzeichnet wurde, um die Angriffe auf zivile Ziele zu unterlassen, verstieß der Irak nach kurzer Zeit bereits wieder gegen diese Vereinbarung. Am 17. Mai 1987 feuerte ein irakisches Kampfflugzeug (angeblich versehentlich) zwei Exocet-Raketen auf die US-Fregatte USS Stark ab, woraufhin die USA den – am Vorfall überhaupt nicht beteiligten – Iran der Eskalation des Konflikts beschuldigten und Kriegsschiffe in die Region entsandten. Obwohl 37 US-Soldaten beim Angriff auf die USS Stark getötet wurden, hatte der Angriff keine Konsequenzen für den Irak: „[4]Trotz des Angriffs auf die Stark unterstützten die USA den Irak weiterhin, sowohl diplomatisch in der UNO als auch militärisch durch das Zuspielen von Informationen über die Bewegung von Verbänden im Golf.“

Während der Iran von den USA mit verstärkten Sanktionen belegt wurde, eskortierten die USA in der „Operation Earnest Will“ in der Folge z.B. kuwaitische Tanker, um den ungestörten Import und Export des Irak zu gewährleisten.

Am 3. Juli hatten US-Kriegsschiffe im Persischen Golf die Aufgabe, kuwaitische Öltanker, die unter US-Flagge registriert waren, zu eskortieren (im Rahmen der Operation Earnest Will) und die Verschärfung des von den USA verhängten Embargos gegen den Iran durchzusetzen. Der Kommandant der USS Vincennes war Commander William C. Rogers III. Nach Kämpfen mit iranischen Kanonenbooten befand sich die USS Vincennes in iranischen Hoheitsgewässern. Zwei weitere US-Kriegsschiffe – die USS Sides und die USS Elmer – befanden sich in der Nähe.

 

                                           Die offizielle Version des Abschusses

 

Nach dem Start wurde der Airbus vom Bandar Abbas Tower aufgefordert, den Transponder einzuschalten und es wurde dem Iran Air Flug 655 routinemäßig der kommerzielle Flugkorridor „Amber 59“ – eine 20 Meilen breite Spur auf einer direkten Linie zum Flughafen Dubai auf einer einfache Flugbahn – zugewiesen. Darauf stieg der Airbus auf eine Höhe von 14.000 Fuß und erschien um 10:17 Uhr auf dem Radar der USS Vincennes. Bereits zwei Minuten später begann die USS Vincennes nach der offiziellen Version, Warnungen auf der Military Air Distress-Frequenz auszugeben.

Die US-Behörden gaben später an, dass die Computersysteme auf der USS Vincennes den Airbus 320 fälschlicherweise als ein F-14-Kampfflugzeug der iranischen Luftwaffe identifizierten. Nach denselben Berichten versuchte die USS Vincennes mehr als einmal, Flug 655 zu kontaktieren. Im offiziellen Bericht heißt es, dass die Versuche, mit dem iran. Airbus in Kontakt zu treten, auf der falschen Frequenz gesendet wurden. Schließlich sendeten die Funker der „Vincennes“ auch drei Funksprüche auf der internationalen Notfrequenz 121,5 MHz an das „unbekannte iranische Flugzeug“, gaben dabei jedoch eine zu hohe Geschwindigkeit des Radarkontakts an, weshalb sich die Männer im Cockpit von Iran Air 655 nicht angesprochen fühlten.

Während sich der Airbus in der Realität im Steigflug befand, soll ein Waffenoffizier an Bord der USS Vincennes dann gemeldet haben, dass das vermeintlich feindliche Flugzeug in den Sinkflug übergegangen sei, was die Männer in der Kommandozentrale des Schiffes in dieser Situation als Angriff interpretiert haben wollen.

Es wird auch von US-Seite zugestanden, dass der Kapitän der „Vincennes“, William C. Rogers III., in dieser Lage keine Verifizierung dieser doch so wichtigen Informationen verlangte.

Um 10:24 Uhr befahl Captain Rogers stattdessen, zwei Flugabwehrraketen vom Typ SM-2 auf den Airbus abzufeuern. Nur wenige Sekunden später, als sich der Airbus immer noch auf dem ihm zugewiesenen Steigflug deutlich innerhalb des Flugkorridors „Amber 59“ befand, wurde er in einer Entfernung von acht Seemeilen und einer Höhe von 13.500 Fuß getroffen. Der Airbus stürzte daraufhin brennend in den Persischen Golf. Bei dem Abschuss kamen alle 290 Menschen an Bord (275 Passagiere – darunter 66 Kinder sowie 38 Nicht-Iraner – und 15 Besatzungsmitglieder) ums Leben. 

Die offizielle Untersuchung des Abschusses machte ein „fehlerhaftes Computersystem an Bord“ sowie „falsche nachrichtendienstliche Informationen“ für den „versehentlichen Abschuss“ verantwortlich. Gerade angesichts der selbst im Untersuchungsbericht festgestellten „zumindest fragwürdigen Entscheidungsfindung“ in der Operationszentrale der USS Vincennes erscheint es als eine Ungeheuerlichkeit, dass nach dieser „Untersuchung“ im Jahr 1990 Captain William Rogers vom damaligen US-Vizepräsidenten George H. W. Bush  noch dazu mit dem „Legion-of-Merit-Orden“ „für außerordentliche Pflichterfüllung im Einsatz“ ausgezeichnet wurde – eine Verhöhnung der Opfer und ein Schlag ins Gesicht der trauernden Angehörigen. Weiterhin wurden die anderen in den Entscheidungsprozess involvierten Offiziere auch noch befördert!

Vor der UNO verteidigte der damalige US-Vize-Präsident George H. W. Bush das Vorgehen des US-Militärs, indem er den Vorfall als einen „Zwischenfall in Kriegszeiten“ bezeichnete – die Besatzung habe in der gegebenen Situation richtig gehandelt. Eine Entschuldigung für den Abschuss lehnte er im Namen der USA ab und eine solche ist bis heute auch nicht erfolgt.

                                   Ist die offizielle Version der USA glaubwürdig?

Betrachten wir zunächst die Darstellung der US-Behörden, dass die Computersysteme der USS Vincennes meldeten, dass es sich bei dem Airbus um ein anfliegendes F-14-Kampfflugzeug der iranischen Luftwaffe handeln würde. Ist dies glaubwürdig? Dazu muss man wissen, dass der Airbus einen zivilen Transpondercode verwendete und damit eindeutig als Passagierflugzeug identifizierbar war. Ein solcher Flugzeugidentifikationstransponder antwortet bei Abfrage durch ein Radarsignal eines potentiellen Gegners mit einem bestimmten Signal in einem vorgegebenen Modus. Der Airbus des Flugs Iran Air 655 antwortete auf Abfragen mit einem Signal im Modus III, das es als ziviles Verkehrsflugzeug identifizierte (eine F-14 hätte im Modus II geantwortet). Weiterhin gab es eine eindeutige Übertragungscodenummer (6760), um diesen speziellen Flug von anderen unterscheiden zu können. Es erscheint mehr als merkwürdig, dass der mit modernster Technik ausgestattete US-Kreuzer hier das Antwortsignal im Modus II erhalten haben will. Die Maschine flog weiterhin im kommerziellen Flugkorridor „Amber 59“ und war als kommerzieller Flug aufgelistet, auf Kurs und fast pünktlich. Eine schnelle Durchsicht der Auflistung kommerzieller Flüge hätte deutlich gemacht, dass es sich um eine Passagiermaschine gehandelt hatte. Auch das ist offenbar unterblieben.

Die Verwechslung eines Airbus-Passagierflugzeugs mit einem F-14 Kampfflugzeug erscheint schon an sich wenig plausibel – noch dazu wenn man sich die Besatzung eines US-Kriegsschiffs und der Offiziere vor Augen hält, die die F-14 gut kennen. Weiterhin befand sich der Airbus zum Zeitpunkt des Abschusses im Steigflug – und nicht im Sinkflug, was der Interpretation der Angriffsabsicht diametral entgegensteht.

Erschüttert wird die offizielle US-Version insbesondere auch durch die Stellungnahmen und Aussagen von Besatzungsmitgliedern anderer US-Kriegsschiffe, die sich in unmittelbarer Nähe der USS Vincennes aufhielten. Von diesen wurde die USS Vincennes wegen ihres zu aggressiven Vorgehens kritisiert.[5]

David Carlson, Kommandant eines sich in der Nähe befindenden amerikanischen Kriegsschiffs, äußerte, dass er sich gewundert habe, als die USS Vincennes ihre Absicht ankündigte, ein Flugzeug anzugreifen, bei dem es sich eindeutig und  eine zivile Linienmaschine handelte.[6] Diese Aussage belegt, dass der Airbus vom Kommandanten eines anderen Kriegsschiffes, das sich ebenfalls im Gefecht befand, zweifelsfrei als Passagierflugzeug erkannt wurde und er sich nicht erklären konnte, weshalb die Offiziere der USS Vincennes dies angeblich nicht vermochten.

 

                                            Die Arroganz einer Supermacht

 

Nach Abschluss unserer Untersuchung kann man konstatieren, dass es bei der offiziellen Version zahlreiche Widersprüche gibt. Der iranische Airbus verfügte über einen zivilen Transpondercode, befand sich im kommerziellen Flugkorridor „Amber 59“ auf Kurs, war einigermaßen pünktlich und als kommerzieller Flug gelistet. Der Kommandant eines anderen US-Kriegsschiffes in der Nähe gab später seiner Verwunderung Ausdruck, dass der iranische Airbus nicht als Passagiermaschine erkannt wurde – eine Verwechslung war demnach eigentlich kaum möglich.

Daher liegt der Verdacht auf der Hand, dass der iranische Airbus absichtlich abgeschossen wurde, denn den verantwortlichen Offizieren hätte klar sein müssen, dass es sich um ein ziviles Verkehrsflugzeug handelte. Es bliebe dann die Frage, ob Captain Rogers allein oder auf Befehl handelte. Das aggressive Verhalten der USS Vincennes wurde ja selbst von anderen US-Kriegsschiffen bemerkt.

Eine solche Schlussfolgerung legt auch schon die ganze Vorgeschichte des Abschusses und der politische Rahmen der damaligen Ereignisse nahe. Die USA waren keine neutralen Beobachter, die den friedlichen Schiffsverkehr im Persischen Golf sichern wollten. Sie standen (und stehen) dem Iran seit der Revolution von 1979, die dem Land die Souveränität brachte,  feindlich gegenüber. Mit ihrer massiven Unterstützung von Saddams Irak und dem Hinwegsehen über irakische Kriegsverbrechen waren sie de facto Kriegspartei, die die Versorgung des Irak garantierte und die Durchsetzung von Sanktionen gegen den Iran durchzusetzen bemüht war. auch in iranische Hoheitsgewässer eindrang und offensiv gegen iranische Marineeinheiten vorging. Jede sich bietende Gelegenheit wurde zum Vorwand genommen, um Kriegsschiffe in die Region zu senden und gegen den Iran vorzugehen. 

Daniele Ganser spricht in dieser Zeit (des Abschusses) von einem „nicht formelle(n), aber faktische(n) Kriegseintritt der USA auf Seiten des Kriegsverbrechers Saddam Hussein.“[7] Am 18.4.1988 hatten die USA iranische Schiffe direkt angegriffen und auch iranische Ölplattformen zerstört.[8] Man machte dem Iran deutlich, dass man notfalls direkt militärisch eingreift, um eine irakische Niederlage zu verhindern. Dieser de facto-Kriegseintritt der USA führte Ganser zufolge auch dazu, dass der Iran letztlich dem Waffenstillstand im August 1988 zustimmte. Die USA zeigten mit dem Abschuss des Passagierflugzeugs, wie weit sie zu gehen bereit waren.

Wenn man den absichtlichen Abschuss letztlich auch nicht belegen kann, so erscheint doch Folgendes sicher: Der Abschuss war letztlich eine Folge der feindlichen und aggressiven Politik der USA  gegenüber dem Iran die auch im arroganten und aggressiven Gebaren von Captain Rogers seinen Ausdruck fand. Der Kreuzer befand sich in iranischen Hoheitsgewässern und sein Kommandant handelte als Kriegsherr einer arroganten imperialen Macht, die keine Konsequenzen für ihr Verhalten befürchten muss. 

Der Gipfel der Unverfrorenheit ist, dass dieser Kommandant – trotz der Zweifel selbst im offiziellen Untersuchungsbericht –  für sein Verhalten auch noch ausgezeichnet wurde. Vielleicht hat er doch nur seinen Auftrag ausgeführt? Die Arroganz der USA kommt jedenfalls in den folgenden Worten des damaligen Vizepräsidenten George H.W. Bush Sr. gut zum Ausdruck: „I will never apologize for the United States – I don’t care what the facts are.“ („Ich werde mich nie für die Vereinigten Staaten entschuldigen – es ist mir egal, was die Fakten sind.“)

 

  • [1] Botschaft d. Islamischen Republik Iran, Presse- u. Kulturabteilung (Hrsg.): Iran und die Islamische Republik: Zum Irakisch-Iranischen Krieg. Bonn 1981, S. 41.

[2] Henner Fürtig: Der irakisch-iranische Krieg. Akademie Verlag GmbH, 1992

[3] Freedom of Information Center: U.S. Corps In Iraq (Memento vom 19. Januar 2003 im Internet Archive)

[4] Encyclopedia Britannica, zitiert nach Ganser, Illegale Kriege 2017, S. 209

[5] https://de.wikipedia.org/wiki/USS_Vincennes_(CG-49)

[6] Carlson, David, zitiert nach: Chomsky, Noam: Wer beherrscht die Welt? 3. Auflage. Ullstein Buchverlage, Berlin 2016, ISBN 978-3-550-08154-5, S. 219

[7] Ganser, Illegale Kriege 2017 (5. Aufl.), S. 208

[8] Vgl. ebenda

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