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Imam Chomeinis Beitrag zur Wiederkehr der Spiritualität in der heutigen Welt

Beitrag von Dr. Markus Fiedler zum Webinar „Spiritualität in einer veränderten Welt“

Wenn wir den Beitrag Imam Chomeinis für die Spiritualität in der heutigen Welt ermessen wollen, müssen uns den Zustand der Welt von 1979 vergegenwärtigen, als Imam Chomeini mit seiner Rückkehr in den Iran den Sieg der Islamischen Revolution herbeiführte. Die Welt war damals geprägt von der Konfrontation der beiden Militärblöcke in Ost und West, zwischen dem atheistischen „real existierenden Sozialismus“ und dem materialistischen westlichen Kapitalismus.

Im Osten war der Dialektische Materialismus Staatsideologie, mit Albanien (ein kommunistischer Staat, der nicht Mitglied des Warschauer Pakts war) hatte sich offiziell ein Staat zum „ersten atheistischen Staat der Welt“ erklärt, mit angeblich 100% der Bevölkerung Atheisten. Dort wurden sogar Friedhöfe gestürmt, um alle religiösen Symbole zu entwerfen, nichts sollte mehr an die Religion erinnern. Das Glück des Menschen sollte sich im diesseitigen materialistischen Leben verwirklichen. Ist dies möglich, lebt der Mensch „vom Brot allein“? Auch westliche Soziologen hielten die Religion für ein Auslaufmodell. Nach der von Max Webers Entzauberungsprozess abgeleiteten Säkularisierungsthese glaubte man, das die Religion langsam aus der Gesellschaft verschwinden würde. Dieser Prozess wurde größtenteils als linear, deterministisch und unumkehrbar angesehen. Eine Revolution in einem Staat der sogenannten „Dritten Welt“ konnte man sich höchstens als sozialistische Revolution vorstellen. Deshalb war die Überraschung und das Erstaunen angesichts der Ereignisse im Jahr 1979 im Iran groß. Dass die Bevölkerung im Iran von einem solchen religiösen Feuer ergriffen wurde und sich eine derartige religiöse Renaissance vollzog, passte einfach nicht in dieses Bild und konnte daher nicht erklärt werden. Der Historiker Hans-Peter Schwarz nannte zwei Personen, die die Religion wieder „ins Spiel brachten“ und damit der Säkularisierungsthese widersprachen: Papst Johannes Paul II. Seit der islamischen Revolution im Iran 1979 hat sich in der gesamten islamischen Welt eine beispiellose, kaum für möglich gehaltene religiöse Renaissance vollzogen, die heute durch eine radikale, von imperialistischen Kräften unterstützte  Strömung in Misskredit geraten ist.

Man kann durchaus die Frage aufwerfen, ob man heute im Westen überhaupt noch von Religion sprechen würde, wenn man sich nicht mit dieser religiösen Renaissance des Islam konfrontiert sähe. Darüber sollten sich die Menschen im Westen Gedanken machen. DIES zwingt die Menschen – und auch die Feinde des Islam – dazu, sich ihren eigenen Wertvorstellungen und Identität zu vergewissern und ggf. selbst eine religiöse Renaissance anzudenken. Auf diese Weise könnte der Islam „den Westen“ dazu bewegen, selbst wieder religiöser zu werden bzw. einen Ausweg aus seiner Sinnkrise zu finden.

Der deutsche Soziologe Max Weber hatte in seiner Religionssoziologie deutlich gemacht, das die Theodizeefrage, die er als Sinnfrage überhaupt begreift, die treibende Kraft der Rationalisierung ist und auch am Ende des Rationalisierungsprozesses im Westen unbeantwortet bleibt. Der sinnhaft handelnde Mensch hat nach Weber auch ein Bedürfnis nach Sinn – der Tod droht aber jeden Sinn zu entwerten. Daher existiert heute in den westlichen Gesellschaften eine gewaltige „Sehnsucht nach Sinn“, wie es in einem Buchtitel des Soziologen Peter L. Berger zum Ausdruck kommt. Auch Wissenschaft und Vernunft können sich nach Weber den Folgen des Entzauberungsprozesses nicht entziehen. Weber spricht hier eine Paradoxie der Moderne an: Droht die Barbarei nur dort, wo sich das Reich der Vernunft noch nicht durchsetzen konnte? Für Weber gibt es so etwas wie eine Nachtseite der Vernunft, denn eine durch und durch rationale Welt, deren Sinn aber durch den Tod entwertet wird, ist für den sinnhaft handelnden Menschen, der ein Bedürfnis nach Sinn hat, schlicht nicht auszuhalten. Eine Welt ohne Spiritualität kommt somit für den Menschen schlicht einer Katastrophe und permanenten Krise gleich, die zu Fluchtbewegungen, die in den Irrationalismus umschlagen können, führen können. Weber hat hier ausdrücklich die Jagd nach dem Erlebnis angesprochen, die Erlebnisorientierung kann man heute überall in der Gesellschaft beobachten. Die Menschen im Westen hungern nach Spiritualität, der Mensch lebt eben „nicht vom Brot allein“, wie es im Neuen Testament heißt, die ihnen die beiden großen Kirchen (schon allein aufgrund der Austrittszahlen) offenbar nicht mehr bieten können. Die Folgen sind dramatisch, man betrachte u.a. den gewaltigen Anstieg von Depressionen und Angst- und Panikstörungen.

Das Auftreten einer charismatischen Führungsfigur kann nach Weber einen charismatischen Umbruch herbeiführen. Zweifellos handelte es sich bei Imam Chomeini um eine herausragende charismatische Figur. Der deutsche Journalist Peter Scholl-Latour, der Chomeini 1979 bei seinem Rückflug 1979 von Paris nach Teheran begleitete, äußerte später, dass er sich seit seiner Begegnung mit Chomeini vorstellen könne, wie ein Prophet wie Abraham auf seine Umgebung gewirkt haben musste. Die vom Charisma Chomeinis bewegte Gemeinschaft des Volkes stürzte schließlich das der Religion entfremdete Schah-Regime. In diesem Sinne ist Imam Chomeini nach Weber der charismatische Führer in idealtypischer Reinheit.

 

 

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