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Gibt es ein Recht auf Blasphemie?

von Dr. Markus Fiedler | „Der Sturz einer Regierung und der Ersatz durch eine andere ist kein Heilmittel… Das Übel sitzt tiefer, in den Regierten selbst. Und es entsteht daraus, dass die Regierten unregierbar geworden sind, weil die Idee der göttlichen und menschlichen Autorität in ihnen zerstört wurde.“ (Donoso Cortes, Über die allgemeine Lage Europas)

Fällt das „Recht auf Blasphemie“ unter die freie Meinungsäußerung?

Die Entwicklung im Abendland

Frankreichs Staatspräsident Macron verteidigte kürzlich das „Recht auf Blasphemie“.[1] Er hat dabei deutlich gemacht, dass er die Blasphemie – die Gotteslästerung, die Verächtlichmachung und Beleidigung Gottes und alles als Heiligen –  durch die Meinungsfreiheit für gedeckt hält. Dagegen machte Papst Franziskus gegenüber einem französischen Journalisten deutlich, dass es für ihn auch Grenzen der freien Meinungsäußerung in Bezug auf Religion gibt. Er äußerte sich dabei wie folgt: „Sie kommen aus Frankreich, gehen wir nach Paris, reden wir Klartext.
Man darf den Glauben anderer nicht provozieren oder beleidigen. Man darf sich über den Glauben nicht lustig machen. Es gibt viele, die schlecht über Religionen sprechen. Sie machen sich lustig. Das heißt, man macht Religion zum Spiel. Sie provozieren, da gibt es eine Grenze.“[2] Und er wurde sogar noch deutlicher, um klarzustellen, dass Beleidigungen nicht durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt sind: „Wer meine Mutter beleidigt, kriegt eins mit der Faust.“[3] 

Mit dieser Auffassung ist der Papst in Westeuropa allerdings heute ein Außenseiter. Macron dagegen liegt in den westlichen Gesellschaften durchaus im Trend bzw. auf der Höhe des Zeitgeistes, denn die Blasphemie ist zwar in vielen europäischen Staaten nach wie vor strafbar, die Tendenz hat sich aber im Lauf der letzten Jahre immer mehr in die Richtung verschoben, dass die Blasphemie als durch die Meinungsfreiheit geschützt angesehen wird. So wurde in vielen westlichen Staaten der Straftatbestand der Blasphemie entweder ganz abgeschafft (wie in Großbritannien 2008, Irland oder Dänemark) und wo er noch besteht, wird er so gut wie überhaupt nicht mehr strafrechtlich verfolgt. So verhält es sich auch in der BR Deutschland, wo die Blasphemie nach dem „Gotteslästerungsparagraphen“ (§ 166 StGB) zwar nach wie vor strafbar ist, aber mit der Einschränkung, dass Beschimpfungen von Religionen und Weltanschauungen nur dann strafrechtlich verfolgt werden, „wenn sie geeignet sind, den öffentlichen Frieden zu stören.“

Im 1982 war im Achternbusch-Film „Das Gespenst“ ein gekreuzigter Frosch zu sehen, die Empörung hielt aber nicht lange an. Strafrechtlich verfolgt werden Blasphemien in Deutschland immer seltener. So wurde zwar im Jahr 1995 Strafanzeige gegen das Satiremagazin „Titanic“ gestellt, als das Blatt eine Fotomontage mit einem Kruzifix als Toilettenpapierhalter auf die Titelseite brachte, doch das Verfahren wurde schnell eingestellt. Im darauffolgenden Jahr verwendete die „taz“ für den gekreuzigten Jesus den mehr als respektlosen Ausdruck „Balkensepp“, das Verfahren wurde schnell eingestellt. Strafverfahren nach §166 gibt es heutzutage eigentlich überhaupt nicht mehr. Jesus kann in Theaterstücken heute als Schwuler dargestellt oder mit Kot beworfen werden – eine Provokation ist dies schon lange nicht mehr, strafrechtliche Konsequenzen braucht man dabei nicht mehr befürchten. Als modern und fortschrittlich gilt heute, wer liberal und tolerant genug ist, die Beleidigung und Schändung von dem zu verteidigen, was früheren Generationen in Europa (und noch wenigen in unseren Tagen) als heilig galt. Man darf ruhig einmal die Frage aufwerfen, was das alles letztlich aus einer Gesellschaft macht.

Die Entwertung alles Heiligen und die Folgen

Im Folgenden soll aus soziologischer Sicht die Frage aufgeworfen werden, was es für eine Gesellschaft bedeutet und wie sie sich entwickelt, wenn in ihr überhaupt nichts mehr heilig angesehen wird. Wenn man alle Autoritäten in den Schmutz ziehen und selbst die höchste Autorität, die für die Gläubigen Gott ist, beschimpfen, beleidigen und lächerlich machen darf, darf man sich letztlich aber auch nicht darüber beklagen, wenn schon Schulkinder über keine Werte und keine Orientierung mehr verfügen und zu schrecklichen Taten fähig sind. Denn wer soll noch über ausreichend Autorität verfügen, Wertvorstellungen zu vermitteln, wenn es kein gemeinsames Fundament und nichts mehr Heiliges mehr gibt? Eine liberale Verfassung, die letztlich zum Ausdruck bringt, das es keine Wahrheit gibt, kann dies allein nicht leisten. Alexis de Tocqueville hat in seiner Schrift „Über die Demokratie in Amerika deutlich gemacht, dass letztlich nur die Beeinflussung der dominierenden Verhaltensstandards durch das Christentum die Langlebigkeit der US-Demokratie garantierte.  

Die westlichen Gesellschaften haben den Staat von seiner religiös-metaphysischen Bindung gelöst, aber die Frage unbeantwortet gelassen, was eine total emanzipierte Gesellschaft eigentlich noch zusammenhält. Die Folgen werden zwar verdrängt, aber die Gesellschaft bald einholen: Als Beispiele seien hier die Zerstörung der Familien, Vereinzelung und Vereinsamung und eine erschreckend hohe Zunahme von Depressionen und anderer psychischer Erkrankungen genannt. Das ist die Folge der Emanzipation des Individuums von seinen letzten noch bestehenden natürlichen und übernatürlichen Bindungen. In einer solchen Gesellschaft wissen sich die Menschen keiner letzten Instanz mehr verantwortlich.

„Anything goes“, alles ist erlaubt und möglich – und alles eigentlich auch egal, weil letztlich alles keine Bedeutung mehr hat. Es gibt demnach keine Wahrheit, alles ist beliebig. Nur: Wer sagt den Menschen noch, was richtig oder falsch, gut oder böse ist. Und wer vermittelt den Jugendlichen noch irgendwelche Wertvorstellungen? Eine so verstandene Moderne bedeutet das Ende aller Sicherheit, auch der Urteilssicherheit darüber, was gut und böse ist.

Diese Entwicklung führt eben nicht in das von den Atheisten und Säkularisten erträumte Vernunftreich, denn die Barbarei droht nicht „nur dort, wo sich das lichte Vernunftreich noch nicht gegenüber den ewig gestrigen Dunkelmännern hat durchsetzen können“[4], sondern es gibt eine Nachtseite dieses Denkens, das uns bedroht. So hat der deutsche Soziologe Max Weber darauf aufmerksam gemacht, dass uns am Ende des abendländischen Rationalisierungsprozesses nicht das Reich der Vernunft erwartet, sondern ein Umschlag in den Irrationalismus droht. Das rührt daher, dass der sinnhaft handelnde Mensch auch ein Bedürfnis nach Sinn hat. Diese „Theodizeefrage“ (wie Weber sie verstand) bleibt jedoch auch am Ende des Rationalisierungsprozesses unbeantwortet, denn der Mensch sieht sich mit dem Tod konfrontiert, der all sein (oder ihr) Handeln nichtig macht und damit sinnlos erscheinen lässt. Daher benötigt der Mensch eine Religion, um sein Handeln in Anbetracht des Wissens um den Tod einen Sinn zu verleihen. Diese „Sehnsucht nach Sinn“ treibt den Menschen letztlich auch zu irrationalen Ersatzreligionen, einer Wiederbelebung alter Religionen (wie etwa der germanischen oder alten griechischen Religion) oder z.B. der Jagd nach dem Erlebnis bzw. dem letzten „Kick“ (bspw. Bunjee-Jumping): „Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf. Das aber, was gerade dem modernen Menschen so schwer wird, und der jungen Generation am schwersten, ist: einem solchen Alltag gewachsen zu sein. Alles Jagen nach dem „Erlebnis“ stammt aus dieser Schwäche.“[5]

Je mehr die Religionen der Lächerlichkeit preisgegeben und unglaubwürdig gemacht werden, desto größer wird das Bedürfnis der Menschen, sich Ersatzreligionen zu suchen. Webers Warnung fand eine eindrucksvolle Bestätigung im Aufstieg des Nationalsozialismus nur wenige Jahre nach seinem Tod, denn bei dieser politischen Bewegung handelt es sich ganz eindeutig um eine Ersatzreligion.

Und so erweisen sich diejenigen, die sich mit ihrem falschen Fortschrittsdenken  an der Spitze des Fortschritts wähnen und ihr Denken als der Weisheit letzter Schluss und Ende der Geschichte verstehen, letztlich als Propagandisten des kulturellen Verfalls. Indem sie die höchstmögliche Autorität der Lächerlichkeit und des Spotts aussetzen, zerstören sie jede Autorität – und damit aber letztlich auch ihre eigene und die ihrer politischen Systeme und sie liefern ihre Bewohner der Hoffnungs- und Sinnlosigkeit aus, die die vereinsamten Individuen und letztlich auch jede Menschlichkeit zerstört.

 

[1]     https://www.spiegel.de/politik/ausland/praesident-macron-verteidigt-recht-auf-blasphemie-in-frankreich-a-84e39bf4-3aa7-4f9e-9306-b5a3a70ffefc

[2]     https://www.sueddeutsche.de/panorama/papst-franziskus-man-darf-sich-nicht-ueber-den-glauben-der-anderen-lustig-machen-1.2306819

[3]     https://rp-online.de/panorama/ausland/wer-meine-mutter-beleidigt-kriegt-eins-mit-der-faust_aid-9602381

[4]     Peukert, Max Webers Diagnose der Moderne 1998, S. 70

[5]     Weber, Wissenschaft als Beruf 1919, S.28

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