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Können Poeten ihren Ursprung von ihrer Poesie trennen? auf Farsi fühlen, auf Deutsch schreiben

Mitra Shahmoradi | Ich lebe in zwei Welten, ich schreibe in zwei Sprachen, ich schöpfe aus zwei Kulturen. Ich bin mit vierundzwanzig Jahren aus dem Iran/Teheran nach Österreich/Wien gekommen und verstand kein Wort Deutsch. Das Leben in einer anderen Kultur hat Auswirkungen in unterschiedlichen Bereichen. In diesem Essay möchte ich schildern, wie ich mir die neue Sprache angeeignet habe.

Am Anfang in einem neuen Land fiel es mir schwer, mich von den vorherigen Gewohnheiten zu distanzierenDer Zeitunterschied führte meine Gedanken immer wieder nach Teheran und ich dachte wieviel Uhr es in diesem Moment in Teheran ist. Ich überlegte, was jetzt daheim geschieht, was gerade die Familie und die Freunde machen, oder wo die Sonne am Himmel steht. Ich musste mich erst an die Klimaunterschiede gewöhnen. Viele tägliche Erledigungen, Wiederholungen, Gespräche und Treffen existieren in dem neuen Leben nicht mehr oder es gibt sie nicht in der gewohnten Form. In dem neuen Land war es leer, still, einsam. Es war fremd, weil vieles anders aussah, anders roch, anders schmeckte, anders gehört wurde. Nicht sprechen und nicht verstehen zu können, sind zwei große Mächte, die mich klein machten. Ich wusste nicht, dass ich wie ein Kind geworden war und mir die Sprache erst Wort für Wort aneignen musste.

Weil ich mich in der Landessprach nicht verständigen und sie nicht verstehen konnte, nahmen manche Menschen an, dass ich nicht gebildet sei und auch sonst vieles nicht weiß. Ich war doch erwachsen, ich hatte meine eigene Sprache und hatte bereits eine Geschichte, aber sie nahmen es nicht wahr. Es blieb mir keine andere Wahl, als mich anzustrengen, um sie zu verstehen und mich zu verständigen. Das schien mir am Anfang unmöglich zu sein und ich hatte das Gefühl, dass ich es niemals erreichen würde. Nebenbei lernte ich auch andere Dinge in dieser Gesellschaft und gewöhnte mich allmählich daran. Die neue Sprache näherte sich mir immer mehr an und ich nahm sie gerne an. Langsam erfreute ich mich an ihr. Die Sprache war nun meine Wegbegleiterin. Ich spürte mehr Sicherheit, mehr Selbständigkeit und mehr Fähigkeit.

Ich war gezwungen, eine Arbeit zu finden, weil in meinem Land Krieg herrschte und es war den Eltern verboten, ihren im Ausland studierenden Kindern Geld zu schicken. Ausgenommen waren einige wenige Studienrichtungen, die des Kunststudiums war leider nicht darunter. „Du kannst nur entweder nach Hause zurückkommen oder versuchen zu arbeiten“, haben meine Eltern weinend am Telefon erklärt. Weil ich doch nun die Sprache hinreichend beherrschte, habe ich mit Glück eine Arbeit in einer Galerie gefunden. Meine Sprache profitierte wiederum von dieser Arbeit. Ich habe bei der Arbeit sonst viel dazu gelernt und interessante Menschen kennengelernt. Für mein Kunststudium waren nicht unmittelbar Sprachkenntnisse, sondern Darstellungsfähigkeit erste Priorität. Über die Jahre wurde mir diese anfangs unerreichbare Sprache immer selbstverständlicher. Irgendwann merkte ich nicht mehr, in welcher Sprache ich denke, träume, oder sogar spreche.

Aus der wunderbaren persischen Sprache entstand auch eine in der Welt bekannte Poesie. Ich bin mit diesem besonderen kulturellen Reichtum aufgewachsen, habe mit dieser Poesie gelebt, sie geliebt, sie gelesen, auch sie in meiner Malerei verwendet. Als ich im Iran lebte, habe ich Gedichte und kurze Texte geschrieben. In meiner Anfangszeit in Wien habe ich noch Farsi dafür verwendet. Irgendwann, wann genau und warum genau kann ich nicht sagen, habe ich mich vom Schreiben entfernt. Vielleicht wusste ich nicht, in welcher Sprache ich mich besser ausdrücken konnte. Aber ich las persische Gedichte und Romane weiterhin mit großer Freude. Auch deutsche Poesie habe ich gelesen, die mir aber nicht so nahe wie die persische war. Die persische Sprache war für mich lyrischer und Deutsch mehr die Sprache für Philosophie und Wissenschaft. Ich habe mir derzeit nicht vorstellen können, meine innigsten Gefühle auf Deutsch in Worte fassen und Gedichte schreiben zu können.

Weiter unter: http://spektrum.irankultur.com/wp-content/uploads/2021/04/10-K%C3%B6nnen-Poeten-ihren-Ursprung-von-ihrer-Poesie-trennen.pdf

Mitra Shahmoradi ist freischaffende Künstlerin und Autorin in Wien, E-mail: atelier@mitra-strohmaier.com.

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