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Fortschritt als Selbstgefährdung? Zu Aufstieg und Fall von Zivilisation

Daniel Hildebrand | Diese Abhandlung trägt an der ehrenvollen, aber notwendig überfordernden Aufgabe, sich an einem Thema zu versuchen, an dem zu scheitern zwingend ist. Was Zivilisationen aufsteigen und niedergehen lässt, beschreibt nicht nur eine Frage, die jede Dimension sprengt. Vielmehr sieht sie sich einer jahrtausendealten Forschung konfrontiert. Der heute nahezu vergessenen Disziplin der Universalgeschichte oblag letztlich
jene Aufgabe genauso, wie klassische, insbesondere althistorische Historiographie vergangener Jahrhunderte sich zumeist einem praktischen Nutzen verpflichtet fühlte: Historische Paradigmen, namentlich dasjenige des Imperium Romanum dem Gelingen des eigenen zeitgenössischen Reiches zu erschließen. Selbsterklärend ist, dass solch grundlegende wie allgemeine Frage zu beantworten, heute ein Ausmaß an Interdisziplinarität des Forschens erfordert, das unüblich ist.

Die folgenden Ausführungen arbeiten daher zunächst einen definitorischen Rahmen dessen heraus, was unter Zivilisation zu verstehen ist. Sodann werden die Größen des Aufstiegs und Falls von Zivilisation vermessen, wobei auf die Faktoren und Konditionen gegenwärtiger westlicher Zivilisation einzugehen ist: Säkularisierung, Ökonomisierung und Technisierung sollen hierbei als Orientierungsgrößen dienen.

Schließlich wird Zivilisation auch als ein Herrschaftsphänomen zu untersuchen sein; prominentes Merkmal von Herrschaft, so sie unter den Bedingungen von Zivilisation steht, ist deren Zentralisierung: Gebiet, Bevölkerung und Gewalt von Herrschaft stellen in diesem zweiten Teil die leitenden Orientierungsgrößen dar. Endlich soll versucht werden, eine Hypothese anzubieten, die die Frage zu beantworten versucht, was Aufstieg und Fall von Zivilisation bestimme.

  1. Definition von Zivilisation

Der Begriff der Zivilisation ist in der deutschen Sprache gegenüber dem Englischen und Französischen verengt.[2] Gleichwohl gelangte er aus dem Französischen im 18. Jahrhundert in die anderen europäischen Sprachen.[3] Diese dem Deutschen spezifische Verengung des Zivilisationsbegriffes beruht darauf, dass er sich vornehmlich seit dem 19. Jahrhundert zunehmend zu einem Antonym zum Begriff der Kultur spezialisierte.[4] So beherrschend dieser bisweilen nationalistisch geprägte und das Selbstbewusstsein des noch jungen Nationalstaats seinerzeit maßgeblich gar konstituierende antonymische Gebrauch des Zivilisationsbegriffes auch sein mag, so liegt den hiesigen Ausführungen eine internationale maßgeblich am französischen Ethymon bzw. der heutigen englischen Verwendung eigene Semantik zugrunde. Auf die ebenso aufschlussreiche wie bedeutende Begriffsgeschichte des deutschen Wortes Zivilisation als eines Antonyms zu Kultur kann hier daher nicht eingegangen werden. Es war nicht zuletzt der bedeutende Soziologe Norbert Elias, der als Mittler innerhalb der westlichen nationalstaatlichen Kulturen dieses Dilemma gleichermaßen analytisch wie kritisch beleuchtet und insbesondere die französische Entwicklung von Begriff und Sache der deutschen Vorstellung von Zivilisation als reiner Zivilisiertheit gegenübergestellt hat.[5]

http://spektrum.irankultur.com/wp-content/uploads/2023/01/Fortschritt-als-Selbstgef%C3%A4hrdung.pdf

Quelle: Spektrum Iran Nr. 3/4 – 2022

Privatdozent Dr. Daniel Hildebrand, Frankfurt am Main; Email: dhldebrand@web.de.

[2]. Elias,1980, S. 7f.

[3]. ebd. S. 45.

[4]. ebd. S. 7 f.

[5]. ebd. S. 10.

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