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Persophilie neu betrachtet im globalen Kontext – Ein Gegenentwurf zu Edward Saids Orientalismus-Kritik

Shahin Aawani, Irmgard Pinn | Das westliche Vorstellungsbild vom Orient – und damit auch von Persien, wie der Iran bis 1935 hieß – oszilliert seit Jahrhunderten zwischen Bewunderung für Kultur und Geschichte einerseits und Misstrauen, Verachtung und Angst andererseits, wobei letztere Einstellung im Verlauf des 20. Jahrhundert zunehmend die Oberhand gewonnen hat. Entsprechend abwechslungsreich verliefen historisch die politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen. Edward Said hat sich in seiner erstmals 1978 unter dem Titel Orientalismus erschienenen Studie auf die Phase der europäischen Kolonialexpansion in den Orient konzentriert und dabei vor allem die durch ökonomische und machtpolitische Interessen der Kolonisatoren geprägten Strukturen auch im Bereich der Kulturbeziehungen ausgeleuchtet. Zwar wurde seine Darstellung seitdem vielfach kritisiert und erfuhr teilweise sogar heftige Ablehnung, doch fand sie längst Eingang in den akademischen Wissenskanon und ist aus politischen und interkulturellen Debatten nicht mehr wegzudenken.[3] Dagegen gerieten die jahrhundertelangen persophilen Strömungen in der europäischen Literatur und Philosophie, in der bildenden und darstellenden Kunst, in der Malerei und Musik, d.h. epochenspezifische Phasen der Bewunderung und Nachahmung persischer Kultur und Geschichte, weitgehend in Vergessenheit oder wurden zumindest neu bewertet. 

Mit dem Buch Persophilia: Persian Culture on the Global Scene (2015)[4] will der iranisch-amerikanische Historiker und Kulturphilosoph Hamid Dabashi Saids Orientalismuskritik in wichtigen Punkten revidieren, vor allem dessen binäre Darstellung der Macht- und Einflussbeziehungen zwischen europäischen Zentren und dem peripheren Orient. Saids Ost-West-Polarisierung basiert für Dabashi auf einem Irrtum, denn in Wirklichkeit sei es zu keiner Zeit um die Herrschaft des „Westens“ über „den Osten“ gegangen, sondern um eine des Kapitals über die Arbeit bzw. der Bourgeoisie über das Proletariat.

Dieser Irrtum habe einerseits zur Ignoranz gegenüber den unbeabsichtigten progressiven Effekten des Kolonialismus und andererseits zur Missachtung des konstruktiven Anteils kolonisierter Länder an der globalen Wissensproduktion geführt. Dagegen fokussiert Dabashi den Blick auf zirkuläre Prozesse in der Wissensproduktion, und zwar analog zur Zirkulation von Waren, Finanzen usw. im kapitalistischen System. Erst so werde beispielsweise erkennbar, dass damals durch europäischen Einfluss bzw. nach europäischem Modell in den kolonialisierten Ländern öffentliche Räume entstanden, in denen sich eine lokale Bourgeoisie konstituieren konnte – und in einer paradoxen Konsequenz auch deren Gegnerschaft, schließlich sogar der Widerstand gegen die imperialen Machthaber.

Weiter unter:

http://spektrum.irankultur.com/wp-content/uploads/2023/09/Persophilie-neu-betrachtet-im-globalen-Kontext.pdf

http://spektrum.irankultur.com/?p=3675&lang=de

 

[1]. Shahin Aawani, Associate Professor für Philosophie, Khātam Universität, Tehran, E-mail: shaawani@gmx.de.

[2]. Irmgard Pinn, Soziologin und Dozentin Deutsche Gesellschaft und Kultur, E-mail: irmgard.pinn@gmail.com.

[3]. Wie ein roter Faden ziehen sich drei Thesen durch Saids gesamtes Werk: Erstens steht für ihn der Orientalismus im Dienst (macht-)politischer Interessen, zweitens bezieht Europa aus dem Orientalismus die Gewissheit eigener kultureller und intellektueller Überlegenheit und drittens ist der Orient als Antithese zum Okzident unabdingbar für die Konstitution der europäischen Identität. Dabei wird der Orient durch den Orientalismus nicht nur vereinnahmt, sondern als solcher erst konstruiert. Im ersten Teil der Studie entwirft Said ein breites historisches, philosophisches und soziopolitisches Spektrum dessen, was er unter „Orientalismus“ versteht, beschränkt sich dann jedoch zeitlich im wesentlichen auf die Epoche des Kolonialismus und räumlich auf den Vorderen Orient. Im zweiten Teil des Buches schildert er sodann, wie wissenschaftliche und literarische Werke, Reiseberichte und politische Traktate das europäische Bild vom Orient geformt und geprägt haben, wobei er die Ende des 18. Jahrhundert in Paris gegründete Orientalistik besonders scharf kritisiert. Als akademische Disziplin habe sie von Anbeginn zur Legitimation von Gewaltverhältnissen und kolonialer Expansion gedient. Abschließend beschreibt Said die Hochphase kolonialer Expansion in den Orient Ende des 19. Jahrhunderts mit ihren Auswirkungen bis auf die Gegenwart. – Von Orientalisten wurden Said schwerwiegende methodische und konzeptuelle Fehler vorgeworfen, z.B. die Ausblendung von Beziehungen zwischen Europa und weiten Teilen des Orients (Indien, China, Japan etc.) sowie des deutschen Orientalismus. Dazu hat Said wiederholt Stellung genommen, wobei er teilweise inhaltliche Schwächen eingestand, vor allem aber seine Zielsetzung nochmals erläuterte und seine Thesen in zahlreichen Aufsätzen und Buchpublikationen weiter entwickelte, u.a. in Orientalism Reconsidered (1985) und Culture and Imperialism (1993).

[4]. Hamid Dabashi (2015): Persophilie. Persian Culture on the Global Scene. Cambridge, MA und London: Harvard University Press.

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